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China 12.-30.4.2006

 

Als wir losgefahren sind, war ich erfreut, als wir wiederkamen, war ich erschüttert. 

Dass China groß ist, ja das wussten wir. Dass China aus einem Schlaf der Unterdrückung in die Neuzeit stürmt, auch das wussten wir – wir waren ja schon zweimal nach China gereist (im Sommer 1991 nach Tibet sowie im Herbst 1997 auf den Spuren der Seidenstraße). Ja, wir waren innerlich darauf vorbereitet, kein Heer von Blaumännern vorzufinden. Auch das VW-Auto „Santana“ hatten wir schon bei unserer Reise vor 9 Jahren in Peking häufig gesehen. Und dass der gute alte „Renminbi“ nicht mehr gültig ist und heute „Yuan“ heißt, war zwar eine Überraschung, aber so groß nun auch wieder nicht. Ganz praktisch dabei: 10 Yuan sind etwa 1 Euro, da kann man gut umrechnen. 

Was wir in Shanghai erlebten, hat uns fast umgehauen. „Pudong“ liegt am Fluss „Hunagpu“ und kann von der altehrwürdigen Uferpromenade, vom „Bund“ aus, gut betrachtet werden. Hier wurden vor 16 Jahren Reisfelder bestellt und steht heute eine Skyline, die Manhattan alle Ehre machen würde. Man beachte: Das ist derselbe Zeitraum, in welchem wir uns in Deutschland an eine Wiedervereinigung gewöhnt haben. Zugegeben, da ist in den Neuen Bundesländern auch schon Erhebliches geschehen. Aber was in diesen Jahren in Shanghai aus dem Boden gestampft wurde, macht uns fassungslos. 

Eine kleine Schmunzel-Erkenntnis ist mir aus den Erklärungen unserer örtlichen Reiseleitung, die man immer noch mitbekommt, obwohl wir in unserem Fall einen fließend Chinesisch sprechenden deutschen Reiseleiter hatten, in Erinnerung geblieben. Im Keller eines der gewaltigen Hochhäuser in Pudong (eines war zeitweise das höchste der Welt) sind u.a. 1.000 Parkplätze für Fahrräder eingerichtet. Leider stehen diese stets leer, da zwischen der Planungsphase und heute das Fortbewegungsmittel der Chinesen der Neuzeit angepasst, also  das Auto, ist und die Straßen verstopft. 

Apropos Verkehr: Weit gefehlt, wenn man lauter „alte Kisten“ auf den Straßen erwartet, wenn man entweder gar keine oder holperige Schotterstraßen erwartet. Auf super Autobahnen sind wir an Mautstationen an schnittigen modernen Autos aus Japan und auch aus China vorbeigefahren. Zugegeben, der Export der chinesischen Produktion hinkt aus Qualitätsgründen noch etwas hinten an, aber das ändert sich sicher auch bald. Und was das Fliegen anbelangt: Es gibt neben „Southern China“ und „Northern China“ noch wer weiß wie viele andere inner-chinesische Groß-Linien, deren Netz in China so manche europäische renommierte Fluglinie erneiden ließe. 

Und das Wohnen? Da sind die Chinesen heute (oder war es immer schon so?) rigoros bis brutal. Altes wird abgerissen – gefragt wird nicht lange – Beton ist moderner Baustoff – in einer Neubauwohnung so eines Betonklotzes, wie wir ihn massenweise am Yangze gesehen haben, stehen einer Familie (sagen wir mal Mama + Papa + genau 1 Kind und nicht mehr, dazu sicher Oma + Opa und vielleicht noch weiterer Personen) z.B. 65 qm zur Verfügung. Balkon oder Aussicht fallen weg. Andererseits muss man sicher zugeben, dass die Chinesen bisher vielleicht in primitivsten Blechhütten ohne Strom und Wasser gelebt haben. 

Aber man sieht schon an dem, was ich im letzten Absatz geschrieben habe: Der Mensch spielt auch im derzeitigen China – jedenfalls was Vokabeln wie Humanität, Ästhetik, Mitsprache oder Freiheit anbelangt – keine Rolle. Fortschritt, und damit ist wirtschaftlicher Fortschritt gemeint, stehen an allererster Stelle. Schon Mao hatte ja den Ehrgeiz, die USA und die Sowjetunion wirtschaftlich zu überholen. Er hat es nicht geschafft, aber seine heutigen Nachfolger, die den Begriff der „freien Marktwirtschaft“ auf chinesische Art neu deklinieren, sind auf dem besten Wege. 

Die Kulturgüter in China, die wir auf unserer Fahrt von Shanghai in die Provinz Yunan zu sehen bekommen haben, waren entweder nicht mehr da oder erheblich zerstört. Die „Roten Garden“ haben unglaubliche Spuren im eigenen Land hinterlassen. Einzig in Museen wird allmählich das „Alte“ wieder als Wert erkannt und gezeigt – aber eben nur, sofern noch etwas da ist. Eine Ausnahme durften wir in Wuhan bestaunen. Erst 1978 wurde ein Grab aus dem dritten Jahrhundert entdeckt. Und darin stand ein fast gänzlich erhaltenes wunderbares bronzenes Glockenspiel, das im Museum zu bestaunen ist. Die in einer Museums-Vorführung erheischten Töne sind zwar für unsere Ohren recht befremdlich - aber welch ein Fund! 

Wir hatten uns eine 3-tägige Fahrt auf dem Yangze (oder chinesisch: Chang Jiang = der lange Fluss = 6.300 km lang) recht romantisch vorgestellt. Das soll auch so gewesen sein, als der große Staudamm noch nicht errichtet war. Nun aber sahen wir 40 Meter hohe bzw. noch höhere Wallaufschüttungen am Yangze-Ufer, unter unserem Kiel verblieben die alten Siedlungen unsichtbar. Und für die Millionen meist bereits umgesiedelten Anwohner konnten wir die gewaltigen Betonklötze am Bergeshang sehen – eine Neustadt scheußlicher als die andere. Hinzu kam, dass wir bei den Wetterbedingungen mehr an Hamburg als an Fernost erinnert wurden. Alles lag grau im Nebel. Unser Dampfer tat ein Übriges dazu, uns nicht in bester Urlaubslaune fühlen zu lassen, indem er ununterbrochen schwarze Rußpartikel aus seinem Schornstein ausstieß, was unserer Kleidung nicht besonders gut tat. 

Der Yangze-Staudamm selber war mit seinen 185 Metern Höhe sehr eindrucksvoll. Bei unserem Besuch fehlten noch 14 Meter Wasserhöhe des Stausees, weil ein letzter Teil des Staudamms selber noch nicht ganz fertig war. Inzwischen ist der vorgelagerte, provisorische Staudamm gesprengt und der Stausee erreicht allmählich seine maximale Höhe. 2009 soll das gesamte Stauprojekt endgültig abgeschlossen sein. Zur Anschauung: In ca. 500 km Entfernung vom Staudamm (also in Frankfurt von Hamburg aus gesehen) steigt das Wasser durch den Yangze-Staudamm noch um 14 Meter. Die gesamte Länge des Stausees beträgt endgültig mal eben über 650 km. Die Dimensionen in China sind einfach gewaltig! 

Übrigens auch die Einwohnerzahl. Unsere Heimatstadt Hamburg mit 1,7 Millionen Einwohnern ist nach chinesischen Maßstäben eine Kleinstadt. Wir waren nach der Yangze-Fahrt in Chongqing (schon einmal gehört? Wir nicht), einer Stadt mit 31 (!!!) Millionen Einwohnern. Egal, ob da nun die direkten Trabanten-Städte mitgezählt waren und die Metropole Chongqing vielleicht nur 20 Millionen Einwohner hatte. Aber was sind das für Größenordnungen! 

Bei Kunming liegt der Steinwald von Shilin. Endlich einmal etwas „Schönes“ anzuschauen. Aber man stelle sich dazu eine Kombination aus Disneyland und Broadway vor. Und darin verteilt Tausende von staunenden Besuchern, die wie wir auf den ausgewiesenen Wegen die schwarzen Tuffstein-Felsen hautnah „umrunden“ konnten. Herrlich und skurril zugleich. 

Dann endlich waren wir in Yunan, einer chinesischen Provinz, die ganz im Südwesten der Volksrepublik liegt und einst zu Tibet gehörte. Hohe Berge umgeben Hochebenen, auf denen nicht nur die „Tschörten“, also die kleinen Gebetstempel am Wegesrand, und vielen an langen Bändern aufgereihten Gebetsfahnen an Tibet erinnerten, sondern auch die Menschen in ihren bunten Trachten und ihren fast südamerikanisch anmutenden Gesichtern. 

In der Tiger-Schlund-Schlucht fallen die Felsen fast 4.000 Meter steil ab, um dem Yangze eine Passage zu ermöglichen, die er sich in Jahrtausenden erobert hat. Auf einem Marktplatz in Shangri-La wurde abends getanzt. Ob Polizist, ob Händler, ob junge oder ältere Frau, alle bildeten um eine innere Flamme mehrere Kreise und bewegten sich rhythmisch zu den Lautsprecher-Melodien á la Volkstanz bei uns. Und es war eine Freude zu sehen, wie strahlend, wie innerlich ausgeglichen, wie äußerlich fröhlich sich die Menschenmenge unbeschwert im Kreistanz  bewegte. 

Die Ernüchterung unserer China-Rundreise kam, als wir unsere letzte Station in Hongkong machten, wo es auch heute noch (seit 1999 ist ja Hongkong wieder Teil von National-China) für Chinesen „Ausland“ ist. Man braucht Pass und Visa und wird von einer eigenen Hongkong-Währung überrascht, deren Kaufkraft 4-10-mal kleiner als in der Volksrepublik ist. Renée und ich hatten für die 1 ½ Tage in Hongkong 100 EUR umgetauscht (man weiß ja nie!). Als wir dann am Ankunfts-Abend in der Hotelhalle 2 Dosen Bier und dann noch 2 Dosen tranken (oder hatten wir etwa jeder 3 Dosen getrunken?), konnte ich gerade die Zeche bezahlen und musste am nächsten Tag an der Rezeption bereits wieder tauschen. 

Fazit: Wer China aus Büchern kennt oder irgendwann früher einmal da war, der muss sich auf einiges gefasst machen, wenn er heute dieses Land bereist. Ich drücke es so aus: In meiner Jugend war China ... na ja, eben auch da, irgendwo dahinten. In meinen Reifejahren wurde mir bewusst, dass China auch mitspielt – oder besser gesagt, man sprach von der „gelben Gefahr“ und meinte wohl, dass es „irgendwann“ auch einmal „dazugehöre“. Bei unseren ersten beiden Reisen nach China erahnten wir, dass es gewaltige Schritte gibt, die China nicht nur in die Uno, sondern auch in die wirtschaftlichen Kräfte dieser Welt gebracht hat. Heute sieht man, dass China uns in der westlichen Welt an vielen Stellen im Brauseschritt überholt. Da müssen wir uns mit unseren Moralbegriffen beeilen, nicht zu vergessen, dass dieses alleine auch nicht in die Zukunft führen. Die Chinesen jedenfalls werden nach meiner Einschätzung schneller auch die ethischen Grundsätze adaptieren, sobald sie ihre wirtschaftlichen Ziele ganz erreicht haben, als wir ihre technologische Mammut-Anstrengung einzuholen. Hoffentlich ist es dann für uns nicht „zu spät“.

 

Horst Burgarth im August 2006

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